Neue TypoWalz-Erfahrungen
ohne eigenes Druckerzeugnis
Die Schrift als solche
Auf meinen bisherigen Stationen war mittwochs der Tag, an dem ich überlegte, was ich selber setzen und drucken wollte. Hier in der Schriftgießerei ist es anders, hier geht es um die Schrift als solche, um ihre präzise Herstellung. Ich gewinne wertvolle Einblicke in die Produktionsabläufe und verstehe die Gesamtzusammenhänge zwischen Gießen, Setzen und Drucken immer besser. Hier bekomme ich frischesten Bleilettern wie nirgendwo sonst. Angelika reicht mir ein Setzbrett auf einem Transportwagen und ich gehe »einkaufen« von Schrank zu Schrank, von Reff zu Reff.
Jahrhunderte alte Figuren
Mein Brett füllt sich langsam. Vom Figurenverzeichnis der Schriftgießerei Stempel AG, der über 1.000-seitigen »Bibel«, wie Rainer sagt, lasse ich mich inspirieren. Der Matern-Fundus ist so reich an differenten Schriften, Ziffern, Elementen für Muster, Untergründen, Initialen und Einfassungen, dass es mir schwer fällt, den Überblick zu bewahren. Es ist faszinierend und beeindruckend, dass es schon früher unendliche Möglichkeiten im Handsatz gab und jede Stilrichtung bedient werden konnte. Es macht ehrfürchtig, diese exakten teilweise Jahrhunderte alten Figuren in ihrer reichen Gestaltung zu sehen.
Druckschriften-Verzeichnis
Das Verzeichnis der »Druckschriften der Gegenwart« von 1962 erlaubt, nach Schriften zu suchen und abzulesen, aus welcher Gießerei sie stammen. Achim Wittrin hat gestern in den Kommentaren nach der »Reporter Schrift« gefragt und heute finde ich heraus, dass diese einst in der Schriftgießerei Johannes Wagner GmbH in Ingolstadt hergestellt wurde. Diese gibt es schon längst nicht mehr, aber Rainer erzählt mir, dass die Matern der Schrift im Museum für Druckkunst Leipzig lagern. Da mich dorthin meine nächste TypoWalz Station führt, werde ich direkt nach der Schrift fragen. Sehr aufregend und spannend, ein bisschen wie Detektivarbeit.
Bleilegierung ist nicht gleich Bleilegierung
Ich lerne, dass Bleilegierungen abhängig sind von der Schriftart und ihrer Verwendung. Die Masse im Schriftmetall besteht aus Blei, Antimon härtet aus und Zinn füllt zarte Linien aus. Eine filigrane Schrift, z. B. die »Künstler Schreibschrift«, hat einen höheren Zinnanteil. Weniger filigrane Schriften haben durch Antimon eine höhere Festigkeit. Zuviel Antimon wiederum macht die Figuren spröde und bruchanfälliger. Es kommt somit auf eine haargenaue Mischung an. Spatien und Regletten sind als nicht druckendes Material nur Füllwerk und haben daher mit weniger Zinn- und Antimon-Anteile.
Einzel- und Doppelgussmaschinen
Seit gestern arbeitet Rainer am nächsten Auftrag, dem Guss der »Garamond Antiqua« Schrift in 12 Punkt. Dazu benutzt er eine Einzelgießmaschine der Firma KüCo, die mit Gas betrieben wird. Die »Sabon Kursiv« in 16 Punkt wurde hingegen an einer elektrischen Doppelguss-Maschine der Stempel AG hergestellt. Jede Einzel- wie Doppelmaschine ist für eine bestimmte Schriftgröße vorgesehen. Beide Maschinenarten haben ihren eigenen Klang und Rhythmus und ich höre mich sehr gern hinein.
Spatien und Regletten ruchzuck gehackt
Kurz vor Feierabend entdecke ich noch ein Reff, auf dem lange 1- bis 10-Punkt Stangen liegen. Rainer will mir dazu noch kurz eine weitere Maschine vorführen. Es handelt sich um einen »Hacker«,
der aus den langen Stangen Blindmaterial wie Spatien oder Regletten auf ein genaues typografisches Maß ruckzuck hackt.
Es war wieder ein informativer und lehrreicher Tag mit viel Theorie und Praxis. Mein Notizheft füllt sich stetig und mein Wissen ebenfalls.
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Theodor (Montag, 25 Oktober 2021 11:46)
Ja liebe Jana,
und
die Kunst
grüsst die Göttin Athene!
Herzlich aus der verregneten Hafen-City,
Theodor
Jana auf TypoWalz (Montag, 25 Oktober 2021 11:50)
Lieber Theodor,
hab vielen Dank für deinen charmanten Gruß aus der nassen Hansestadt und nun wieder an dich ☞ Gott grüß die Kunst