Chargalls Blau betört
und das Rot gefällt
Der Tag will geplant sein
Bei dem Blick aus dem Fenster zeigt sich der Tag noch müde und kommt recht grau daher. Trotz wenig Schlaf meinerseits, bin ich schon erstaunlich wach und sehe den Mainzern beim Start in ihrem Alltag zu.
Heute muss der Satz für meine Gutenberg TypoGrafik stehen, damit diese am Freitag auch fertig gedruckt ist und ich mache mich fix an die Arbeit. Die großen Holzlettern sind gewählt, die Frakturschrift auch und der halbe Satz steht. Nun braucht es noch ein passendes Gutenberg-Konterfei, das Rainer mit mir auswählen wird.
Ein blaues Wunder
Aber zunächst bin ich noch einmal mit Françoise verabredet, da sie mich in die St. Stephan Kirche führen wird, um mir die Chagall-Fenster zu zeigen. Die im letzten Weltkrieg fast völlig zerstörte Kirche wurde weitgehend originalgetreu wiederaufgebaut. Wegen der Gestaltung eines Kirchenfensters fragte Pfarrer Klaus Mayer 1973 Marc Chagall an. Der jüdische Künstler ließ sich jedoch Bedenkzeit, entschied sich dann doch Jahre später und begann als 91-Jähriger mit den Entwürfen. Aus der Anfrage erwuchs eine enge Verbindung zwischen Pfarrer und Künstler, schließlich wurden neun Kirchenfenster entworfen, deren Fertigstellung Chagall selbst nicht mehr erlebte. Diverse Blautöne bestimmen die Eigenart dieser Fenster und tauchen das Kircheninnere in eine besondere Atmosphäre. Wie ein Geschenk scheint die erwachte Sonne durch eben diese Fenster und ein unglaubliches Farbspiel ergreift mich. Danke Françoise.
Mainzer Orientierung
An einer Kreuzung auf dem Rückweg sehen wir an einer Hausecke eine weitere Mainzer Besonderheit. Straßennamen parallel zum Rhein sind auf blauen Schildern zu lesen und rechtwinklig zum Fluss auf roten Schildern. Im Altstadtbereich sind diese sogar in einer Frakturschrift zu finden. Obwohl die Vorbereitungen für die Festtage auf Hochtouren laufen und das Wetter es sich wieder anders überlegt hat, gibt es noch ein Foto vor dem Gutenberg-Monument. Dieses zeigt ihn mit Bart, obwohl er wohl gar keinen getragen hat, wie verschiedene Historiker meinen.
Typografie pur
Das Willigsportal des Mainzer Doms ist ein monumentales Tor und typografisches Werk, überzogen mit Schrift.
Ich bin entzückt.
Innen im Dom zeigt mir Françoise eine besondere Tafel mit lauter prachtvollen Schriftverzierungen, ein wahres Kunst- und Meisterwerk. Ligaturen verschiedenster Art, Umlaute in unterschiedlichen Größen und Verzierungen in ganz besonderen Formen und Typen.
Ich gerate ins Schwärmen
Mit Bart und langem oder kurzem s
Zurück in der Werkstatt habe ich mich nun für ein Profil von Gutenberg entschieden, eins mit Bart. Der Satz ist fertig und inzwischen ausgebunden, jetzt geht es an den Probedruck und anschließend an das passende Papierformat. Rainer reißt mir das Alt Nürnberger Bütten in schmale Teile und wir machen einen Korrekturabzug mit der roten Farbe, die noch auf den Walzen ist, da gerade Urkunden gedruckt wurden.
Obwohl inzwischen schon viele Male erlebt, bin ich jedes Mal auf neue gespannt und ein bisschen aufgeregt, wie der Druck aussehen wird. Der erste Blick ist wie ein Kennenlernen und ich bin sehr zufrieden. Ich bitte Gundela um einen kritischen Blick und freue mich über die richtige Verwendung des langen und des kurzen s.
Der richtige Stand und das richtige Rot
Der Zwiebelfisch ist schnell gefangen, eine Korrektur gemacht, nun geht es um den richtigen Stand auf dem Papier. Nach kurzer Beratung mit Françoise und Gundela und der Rückmeldung des Buchdruckermeisters sind wir uns einig. Rainer schließt den Satz wieder auf, rechnet und baut mit geübten Griffen ein wenig um. Es passt und je mehr wir uns die Probedrucke ansehen, um so passender finden wir die rote Farbe, die bereits auf den Walzen war.
Druckerlehren
Dazu lerne ich noch eine Mikrometerschraube zum Papierstärke messen kennen sowie einen Dreigrößen-Schlüssel, von dem ich einen geschenkt bekomme. Toll. Und zu allerletzt erfahre ich, dass die Lumpen oder auch Putzlappen nicht irgendwie, sondern geregelt nach innen gefaltet werden, um mögliche Fäden am Rand beim Reinigen der Maschine nicht in die Walzen kommen zu lassen. Außerdem hat man dabei sechs Putzflächen, die nacheinander genutzt werden können. Simpel, aber sehr sinnvoll.
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