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Schweres Erbe

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Lauter Kolleginnen

und schwere Typen

Alles unter einem Dach

Gestern hat Dresden mich im herbstlichen Sonnenschein willkommen geheißen, der Tag heute beginnt grau und feucht. Unter dem Dach SchumacherGebler vereinen sich die »Bibliothek SG«, die »Offizin Haag-Drugulin« und das »Typostudio SchumacherGebler«. Außerdem ist hier 2013 der »Verein für die Schwarze Kunst« gegründet worden mit dem Ziel, das handwerkliche Können des Schriftgießens, des Handsatzes und des Buchdrucks zu bewahren, zu fördern und die Wissensvermittlung an nachfolgende Generationen zu unterstützen.


Überraschung

Kollege Max empfängt mich freundlich und führt mich in die ebenerdige Setzerei. Dort begrüßt mich Eckehart SchumacherGebler und stellt mich zu meiner Überraschung gleich drei Kolleginnen vor. Bisher sind mir noch nicht so viele Frauen in diesem Gewerbe begegnet. Im Gespräch mit Ria, der erfahrensten der Dreien, höre ich, dass Schriftsetzen zu DDR-Zeiten überwiegend ein Frauenberuf war – ganz im Gegensatz zum damaligen Westdeutschland.


Gut aufgehobene Schätze

Nach kurzer Besprechung der Arbeit für die Woche, zeigt mir die Kollegin Susanne Probedrucke von neu übernommenen Klischees und Holzstichen aus einer Druckereiauflösung. Wir entdecken verschiedene Schmuck- und Zierstücke, vielfältige Initialformen mit floralen und tierischen Motiven, sehr kleine und detaillierte Ausarbeitungen bis hin zu großflächigen Anfangsbuchstaben, die eine ganze Seite füllen. Darunter befinden sich auch Formen für Mehrfarb-Drucke. Nicht alle Buchstaben sind vorhanden und auch manche Farbplatten fehlen, so lässt sich nur erahnen, wie sie wohl gedacht waren.

Der Drucker hat sorgfältig alle Exponate aus dieser Auflösung auf Papier abgezogen, sie mit Schrank- und Fachnummern beschriftet und dann abgelegt. Somit ist der Bestand gesichtet und dokumentiert.


Wohl Deutschlands jüngste Schriftsetzerin

Anschließend zeigt mir Heike, die jüngste Kollegin, die hier letztes Jahr noch ihre Ausbildung als Schriftsetzerin abgeschlossen hat, (eine der ersten, der neuen Generation, wie sie sagt) die Arbeiten ihrer Lehrzeit und ich freue mich, dass ich einige hier zeigen darf. Unter anderem hat sie vier Schriftproben der »Garamond« von unterschiedlichen Gießereien gesetzt, um diese zu vergleichen. So wird sichtbar, dass jede Gießerei ihre eigenen Interpretationen hat.


All unser Wissen und Denken

Heikes Schriftproben sprechen mich sehr an und ich würde solche gern ebenfalls setzen. Dazu gehen wir rüber in die Lagerhalle, in der prall gefüllte Schriftenschränke aus diversen Setzerei- und Druckerei-Auflösungen reihenweise übereinander gestapelt stehen. Beim Betreten der viel zu kleinen Halle und dem Entdecken der unzähligen, auch »neuen« und unbenutzten original verpackten Schriftpakete wird mir ganz schwindelig. Die Ungewissheit über die Zukunft dieser in Blei gegossenen Geschichte lasten in jeder Form schwer. Über Jahrhunderte wurden all unser Wissen und Denken in Blei festgehalten bis die alte Drucktechnik durch moderne ersetzt wurde.

Ich frage mich, wie dieses gewichtige Kulturerbe vor dem Vergessen bewahrt und erhalten werden kann.


Wie Fische entstehen

Während mich die Geschichte fesselt und ich mir Gedanken dazu mache, sucht Heike in den Gassen nach dem richtigen Garamond-Fach, holt die Leiter, sucht weiter und findet schließlich den gewünschten Setzkasten. Gemeinsam mit einem Transportwagen fahren wir die Schrift von dem einen Gebäude in das nächste. Den Setzkasten vorsichtig über das Kopfsteinpflaster schiebend, hören wir, wie die Buchstaben kräftig und lautstark in ihren Fächern springen. Dabei habe ich die Vorstellung, einige Buchstaben hüpfen von einem ins nächste Fach, werden also zu Fischen, und da es inzwischen regnet, muss ich irgendwie an »Fisch-Suppe« denken. Wir lachen.


Morgen wird gesetzt

und verglichen

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Kommentare: 6
  • #1

    Helmut (Dienstag, 06 Oktober 2020 09:55)

    Bei dem "Pfau" handelt es sich nicht um eine Kupferstich-Platte, sondern um ein Galvano!

  • #2

    Gert Laufenberg (Dienstag, 06 Oktober 2020 12:06)

    Moin Jana,
    diese Lagerhalle ist beeindruckend.
    Ich habe die Halle auch schon staunend besucht.
    Hoffentlich bleibt das der Nachwelt (Fachwelt)
    auf Dauer erhalten.
    Die Hand-Setzerei zeigt in der Einrichtung den
    letzten Stand der 70er Jahre.
    So wurde auch in meiner Lehrfirma am Ende der 60er
    modernisiert.
    Da macht es sicher Spaß zu arbeiten.

    viele Grüße aus Hamburg-Barmbek
    Gert

  • #3

    Jana auf TypoWalz (Dienstag, 06 Oktober 2020 17:26)

    Hallo Helmut,
    guter Hinweis, nun der Fehler ist korrigiert.
    Vielen Dank und ☞ Gott grüß die Kunst

  • #4

    Jana auf TypoWalz (Dienstag, 06 Oktober 2020 17:29)

    Moin Gert,
    ja, die Halle ist wahrlich beeindruckend und auch hier hoffen alle, dass dieses geschichtsträchtige Blei erhalten bleibt.
    Es macht viel Freude in einer solch großen Setzerei mit den vielen Kolleginnen zu sein und zu arbeiten, das kann ich nur bestätigen.
    Vielen Dank nach Hamburg und ☞ Gott grüß die Kunst

  • #5

    Anne König (Donnerstag, 08 Oktober 2020 11:45)

    Liebe Grüße aus Berlin und bei der Fischsuppe habe ich laut mitgemacht! Viel Spaß noch, Anne

  • #6

    Jana auf TypoWalz (Donnerstag, 08 Oktober 2020 17:38)

    Liebe Anne,
    wie schön. Es freut mich, wenn Humor ansteckend ist.
    Vielen Dank nach Berlin und ☞ Gott grüß die Kunst