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Kanadische Sommer und der Storchenschnabel

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Vom Blei

zum Holz

Von Buchstaben lernen

Beim gestrigen Sortieren der Bleilettern »Wilhelm Klingspor Gotisch« 36 Punkt habe ich viel über die Textura Schrift erfahren, denn jede einzelne Letter muss genau betrachtet werden, um all die besonderen Feinheiten zu erkennen und zu unterscheiden. Das braucht viel Geduld und Neugier. Michaels schlechtes Gewissen kann ich schnell beruhigen, sind doch Buchstaben meine Leidenschaft. Für ihn ist diese Arbeit eine große Hilfe, somit freuen wir uns beide. 


Verschiedene Größen und Höhen

Heute Vormittag sortiere ich die  »Wilhelm Klingspor Gotisch« 36 Punkt fertig in die Steckschriftkästen und darüber hinaus noch die Schrift in 48 Punkt. Viele Bleibuchstaben müssen vorher noch gereinigt werden, da diese nach dem Druck vor längerer Zeit zwar oberflächlich gewaschen, aber anschließend nicht abgelegt wurden und demzufolge miteinander verklebt sind. Ich bin sehr erfüllt mit der Arbeit und zufrieden mit dem Erlernten und dem Ergebnis. 

Während ich die letzten Buchstaben säubere und ablege, zeigt  Michael mir immer wieder Plakate und viele große Holzschriften, die meistens in den höchsten Fächern der oberen Schriftschränke liegen. »Es ist echt lästig, dass du so klein bist«, sagt der fast zwei Meter Mann, kichert und belohnt mich nach getaner Arbeit reichlich mit frischem Kaffee und feinsten Keksen.


Wichtige Holzkunde für perfekte Druckbuchstaben

Zurück von der Museumsdruckerei auf dem Bauernhof, geht es nach dem Mittagessen in geselliger Runde in die Holzwerkstatt. Es ist bereichernd, die Herstellungsabläufe von druckfähigen Holzlettern zu erfahren, denn auch dieses Handwerk schwindet. Eine Nachfolge als Holzletternfräser/in ist leider noch nicht in Sicht. Daher möchte ich so viel wie möglich lernen und ausprobieren. Wie wunderbar, dass mir Michael dies ermöglicht.


Für Holzbuchstaben nimmt man – wie gestern schon gelernt – nicht nur quer zur Faser gesägtes Holz, also Hirnholz, sondern auch ganz besonderes. Denn das Holz darf sich nicht verziehen, also quellen oder schwinden, muss eine sehr glatte Oberfläche bekommen und auf die exakte Schrifthöhe von 23,567 mm gesägt werden können. Erst dann kann der Farbauftrag ebenmäßig sein und ein gleichmäßiges Druckbild entstehen.


Für den Buchdruck eignen sich nur Hölzer aus Birnbaum oder Ahorn. Der kanadische Ahorn ist deutlich fester und am besten geeignet. Dies erklärt sich dadurch, wie Michael mich lehrt, dass die Sommer in Kanada kürzer sind und die Bäume weniger schnell wachsen. Damit stehen die Jahresringe dichter beieinander als beim europäischen Ahorn. Mir wird bewusst, wie viel Fachwissen neben dem handwerklichen Geschick nötig ist, und ich bin voller Respekt.


Mäßstäbe, Fräser und Taster

Meine mitgebrachten Schablonen werden auf ein Trägerholz geschraubt und für die Holzletternfräse vorbereitet. Die Fräse ist ein Pantograph oder ein sogenannter Storchenschnabel. Dieses Präzisionsinstrument hat zwei Seiten zum maßstäblichen Übertragen. An der einen Seite wird mit einem Taster die fixierte Schablone umfahren und an der anderen schneidet der Fräser 1 : 1 oder in einem kleineren Maßstab aus dem Rohling die Konturen. Storchenschnabel kenne ich aus Kindertagen vom Malen oder aus meinem ersten Beruf als Bauzeichnerin und ich fühle mich freudig erinnert.


Ein erstes Kennenlernen des Pantographen

Mit geübten Handgriffen führt Michael den Taster an die Außenkante der Schablone, taucht den Fräser langsam in den Rohling ein, beginnt zu fräsen, lehrt mich auf die Schneiderichtung zu achten und den Taster behutsam zu führen.

Nun bin ich dran. Ich schmeiße die Maschine an, senke den Fräskopf vorsichtig in das Holz, mein Herz klopft, während ich mit dem Taster kleine Kreisbewegungen ausübe, so wie ich es gezeigt bekommen habe. Es raspelt, meine Führung ist vorsichtig, die ersten Späne fliegen und ich bin hochkonzentriert. Ich habe immer viel Respekt vor der Arbeit mit fremden Maschinen und genieße das Wissen des Fachmannes neben mir.

Gemeinsam sehen wir, wie der Buchstabe, ein »Et«, sich im Holz abbildet und sind mit dem ersten Üben zufrieden.



Ohne Wissen

kein guter Druck

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Kommentare: 4
  • #1

    Karl (Dienstag, 01 September 2020 22:35)

    Liebe Jana, ich verfolge wieder ganz gespannt deine Tagesberichte. Diese Letternfräse ist ja ein besonders wertvolles Gerät. Bei Michael hättest du sein sollen bevor du zu mir kamst dann hättest du die richtigen @-Zeichen mitbringen können. Da hat sich Michael nochmals einer großen Lebensaufgabe gestellt mit der Museumsdruckerei. Dazu wünsche ich ihm viel Ausdauer volle Gesundheit und immer viele Helfer, richte ihm viele liebe Grüß aus. Ich freue mich schon wieder auf deine nächste Berichterstattung. Liebe Grüße aus Mosbach.

  • #2

    Klaus von Bergen (Mittwoch, 02 September 2020 07:44)

    Hallo Jana, Deine Berichte finde ich wieder sehr spannend. Natürlich schreibst Du über etwas von dem ich kaum etwas verstehe, aber Deine Begeisterung ist ansteckend und ich freue mich schon auf den nächsten Brief. Veil Erfolg und Spaß und neue Lernerfahrungen weiterhin Klaus

  • #3

    Jana auf TypoWalz (Freitag, 04 September 2020 09:30)

    Lieber Karl,
    hab Dank für deine Begleitung und guten Wünsche. Michael hat bereits von dir erzählt und lässt schön grüßen. Er hat wirklich großes vor und wir sollten ihm so viele Helfer und Helferinnen schicken, wie möglich.
    Auf bald und ☞ Gott grüß die Kunst

  • #4

    Jana auf TypoWalz (Freitag, 04 September 2020 09:32)

    Lieber Klaus,
    es freut mich sehr, dass dich meine Berichte ansprechen, auch wenn du meinst kaum etwas zu verstehen. Dann gelingt es mir wohl zu begeistern. Wie schön.
    Hab Dank und ☞ Gott grüß die Kunst