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Ein Tag bei Marleen Krallmann

Tag der Handschrift

Heute bei Marleen im scriptum in Kiel

Von Schrift, Kalligrafie und Calligraffiti

Meine typografische Reise führt mich diesmal für einen Tag nach Kiel zu Marleen Krallmann in ihre Werkstatt  »scriptum«. Sie setzt sich intensiv mit Schrift, Schriftgeschichte und Schreiben als solches auseinander. Mit Handschriften und Kalligrafie gestaltet sie ihre Handwerkskunst und gibt dem Geschriebenen eine ganz neue Anmut. Dabei arbeitet sie auf Papier, Textil, Glas oder gar auf Autos. Man spricht auch von »Calligraffiti«, wie ich erfahre.



Schrift ist nicht nur zum Lesen

Vor der Digitalisierung wurde alltäglich selbstverständlich mit der Hand geschrieben, so dass sich individuelle Handschriften ausprägen konnten. Heute wird meist nur noch in Tastaturen oder auf glatten Oberflächen getippt, handgeschriebene Post wird selten. Dabei kann Schrift ein wunderbares künstlerisches Mittel sein, wie Marleens Arbeit über Lola Gerdts zeigt, in der sie unter anderem mit der deutschen Sütterlinschrift arbeitet. Als Weiterführung ihrer geschriebenen Arbeiten nutzt Marleen zudem die digitale Welt und so entstehen Logos, Kampagnen-Schriftzüge und mehr.


Zurück in die Schriftgeschichte

Marleen geht zurück in die Zeit weit vor Beginn des Buchdrucks, sogar noch bevor das Schreiben ein Privileg der Mönche war. Zunächst nutzte man geschnittene Rohrfedern und -pinsel, später Kielfedern und schließlich im Zuge der Industrialisierung Metallfedern. Aus Galläpfeln wurde eine schreibfähige Tinte gewonnen, die sog.  Eisengallustinte.

Die ersten Federn waren Breitfedern, die bis heute Schriftbilder prägen. Es folgten die Spitzfedern und neben anderen Varianten schließlich die Gleichzugfedern, die in vielen heutigen Füllern zu finden sind.  


Schriftentwicklung Strich für Strich

Zurzeit beschäftigt sich Marleen intensiver mit der deutschen Sütterlinschrift, die als Ausgangsschrift für das Erlernen von Schreibschriften 1911 von Ludwig Sütterlin entwickelt wurde. Mir war nicht klar, dass es eine Lernschrift für Schreibanfänger war und noch weniger, dass diese einen so logischen Aufbau hat, wenn man sie Schritt für Schritt nachvollzieht. An einem Beispiel zeigt mir Marleen die Entwicklung von Sütterlin bis zum heutigen e. Aus den ursprünglichen Doppelstrichen im Sütterlin sind die Umlaute auf dem ä, ö und ü entstanden. Ich bin fasziniert.


Handschrift entdecken

Zum warm werden schreiben wir beide einen längeren Text. Marleen sieht sich meine Handschrift mit all ihren Eigenheiten genauer an. Zum »Tag der Handschrift« wollen wir mit »schreib mal wieder« anregen. Erst schreiben wir mit dem Füller in gewohnter Schriftgröße, dann mit dem Bleistift immer größer werdend. Schließlich vergleichen wir die Ergebnisse. Welcher Schwung führt zu Verbindungen einzelner Buchstaben, wo setzen wir ab und wie verhalten sich die Abstände? Dann wählen wir aus.


Schreiben üben


Als nächstes wird meine neue Breitfeder eingeweiht, die Marleen mir geschenkt hat. Damit versuche ich nun den rechten Winkel zu finden und die Feder langsam, aber nicht zu langsam über das Papier zu ziehen. Es entstehen Grund- und Querstriche sowie die feinen Haarstriche, die so markant in der Textura sind, der  im Hochmittelalter entstandenen Gitterschrift als nicht kursive Buchschrift. Es braucht einige Übung, um den Winkel im Schreiben nicht zu verändern und ich tue mich schwer. Aber Marleen beruhigt mich, auch sie ist ständig in Übung, damit die Schrift ein perfektes Bild abgeben kann.


Schrift erleben

Nach einiger Zeit sind ein paar Versuche geschrieben und so allmählich entspanne ich mich. Doch die nächste Herausforderung wartet schon, jetzt kommt eine richtig große. Schon beim Eintreten in ihre Werkstatt sind mir die riesigen Flachpinsel an langen Stielen aufgefallen, die nun zum Einsatz kommen. Schnell wird der Tisch an die Seite gestellt und eine breite Papierbahn auf dem Boden ausgerollt. Ich bin gespannt. Marleen schreibt einmal trocken vor, um zu sehen, wie groß die Buchstaben werden dürfen und dann geht es auch schon los.


Mein Versuch und Schreiben im Rhythmus

Jetzt ist es an mir und ich ziehe mir Schuhe und Strümpfe aus, um das Papier zu betreten. Marleen wählt einen Pinsel für mich und auch ich versuche mich im Trockenschreiben. Es ist schwierig, in dieser Größe zu schreiben und noch dazu mit einem »Breitfeder«-Pinsel. Wie schreibe ich ein kleines h und wo setze ich das r an? In einem Eimer steht blaue Farbe für mich parat, ich atme einmal tief ein und lege los. Marleen begleitet mich, ich versuche ihr nachzueifern, schreibe aber irgendwie und am Ende steht dort nicht »schreib«, sondern es sieht eher aus wie »sclurlib«. Recht eigenwillig, aber Marleen bleibt gelassen und schreibt gekonnt im Rhythmus der Musik »weiter«.


Dicke Pinselstriche

Der dicke Pinsel hinterlässt ganz wunderbare Bewegungen auf dem Papier und wir beschließen, dass es als Tageswerk doch ganz gelungen ist und sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis und miteinander. Ich habe den Eindruck, dass ich wohl noch öfters kommen werde, um noch weiter zu üben und zu lernen. Heute bin ich sehr weit zurück in die Schriftgeschichte gereist, um die Entstehung der einzelnen Letter besser zu verstehen und habe viel gelernt und Spaß gehabt.


Und zum Abend noch ein bisschen Schrift

Zum Abschluss des Tages sind wir noch mit Albert-Jan Pool zum Essen verabredet, der Schriftgestalter und Typograf, bei dem Marleen an der Muthesius Kunsthochschule studiert hat. Neben dem fachlichen Austausch und der geteilten Leidenschaft zur Typografie, begleitet er Marleen in der Entwicklung ihrer neuen inklusiven Lernschrift »Efi«. Albert selbst hat die FF DIN Schrift Familie gestaltet, die so erfolgreich und vielfältig zu finden ist, dass wir ihr sogar beim Essen begegnen.


Ein schrifterfüllter Tag

Danke Marleen

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Kommentare: 2
  • #1

    Rita Winter (Dienstag, 25 Januar 2022 19:02)

    Hallo, ich verfolge immer eifrig den Newsletter und hab mich diesmal besonders gefreut da
    eine Schriftschreiberin auftaucht. Ich selbst bin nämlich Kalligrafin und fühl mich gleich
    besonders angesprochen.
    Herzliche Grüße
    Rita Winter

  • #2

    Jana auf TypoWalz (Mittwoch, 26 Januar 2022 13:54)

    Hallo Rita,
    es ist schön, dass ich dir mit den Newslettern und diesem ins besonderen, Freude mache. Vielleicht dient es zum Vernetzten der Kalligrafinnen in Nord und Süd, wer weiß.
    Vielen Dank und ☞ Gott grüß die Kunst