Typografie-Leidenschaft
Heute bei Erik in der Galerie P98a Berlin
Eine Einladung nach Berlin
Als ich vor einiger Zeit die Einladung von Erik Spiekermann bekam, einen Tag mit ihm in seiner Werkstatt Galerie P98a zu verbringen, habe ich mich riesig gefreut und bin ich voller Erwartung auf dem Weg nach Berlin-Tiergarten. Die goldenen Lettern ›Kunstpalais‹ am Eingang der Potsdamer Straße 98 klingen verheißungsvoll und ich durchquere den historischen Häuserblock zu den Hinterhöfen.
Die Galerie befindet sich in einem Ende des 19. Jahrhunderts als Zeichen- und Malschule für Künstlerinnen (eine der ersten ihrer Art) errichteten Gebäude. Ein fabelhafter Ort, um hier traditionell kreativ zu arbeiten.
Räume für die Kunst
Da Erik noch unterwegs ist, empfängt mich Lilith, eine Kollegin, und ich beginne den Tag mit einem feinen ›Letterpresso‹. Ein freundliches Kennenlernen mit Kaffeegenuss. Dann freue ich mich auf die Entdeckungsreise an diesem Ort der Kunst, an dem schon Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker einst arbeiteten. Heute ist es wieder ein kreativer Raum, der sowohl Platz für das historische Buchdrucker Handwerk mit Holz- und Bleilettern sowie für das moderne digitale Design von heute bietet.
Maschinen und Figuren
Gleich am Eingang stehen mehrere Korrex und FAG Andruckpressen verschiedener Größen und Hersteller, die durch die hohen Fenster und mit alten Industrieleuchten einladend ins rechte Licht gerückt werden. Man möchte gleich anfangen zu arbeiten. Auf Regalen sind überall große Lettern verschiedenster Schriften und Figuren zu entdecken, die alle schon einige Jahre auf dem ›Holz‹ haben und sicher für viele Plakate verwendet wurden. Was für eine Fülle und ich frage mich, kann man auch ›holzreich‹ sein?
Buchstaben über Buchstaben
Im Zuge des Lernens als Schriftsetzerin im Hamburger Museum der Arbeit und auf meiner typgrafischen Reise sind mir durchaus schon viele Holzlettern begegnet, aber hier präsentieren sie sich in allen Formen und Größen, Engen und Weiten in einem eigenen Gang wie stolze Kunstwerke. Hölzer in verschiedenen Farben, zumeist dunkel und durch Druckerfarbe gefärbt. Manche sind so groß, dass sie allein plakatfüllend sind. Es gibt Groteske und Antiqua, Kursive, Verzierte und Negative sowie Zierformen. Welche Worte wurden damit gesetzt? Was haben sie laut ausgerufen? Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach ihrem Alter und ihrer Herkunft. Das finde ich immer besonders interessant.
Auf Erkundungstour
Etwas weiter entdecke ich verschiedene Schrifthöhen- und Mikrometermesser für Papierstärken sowie ein Art Stempel mit Uhr. Ich finde Buchstaben aus unterschiedlichen Materialien, schmunzle über ein Zitat von Martin Luther und entdecke die ›Helvetica‹ als Frakturschriftzug, den ich später noch auf Plakaten sehe, als Erik ankommt. Er begrüßt mich herzlich und lädt sogleich zu einer persönlichen »Spiekertour« durch die Werkstatt ein.
Auf Spiekertour
Wir beginnen gleich bei den Andruckpressen und ich erfahre von den unterschiedlichen Vorzügen der einzelnen Druckmaschinen. Die erste, eine Korrex, verfügt über eine automatische Luftpumpen-Ablage und hat schräge Zahnstangen als Führungsschienen für die Farbwalzen im Gegensatz zu den die beiden FAG Standard mit geraden Zahnstangen zur Führung. Bei einer der FAG kann das Fundament mit einer Stellschraube eingestellt werden, bei der anderen per Kurbel.
Und ich lerne die Bedeutung der ›Deadline‹ kennen, die auf jeder Druckpresse das Ende des Druckbereichs kennzeichnet.
Pure Leidenschaft für die Typografie
Erik erzählt mir von seiner Zeit, in der er schon früh neben der Schule in einer Buchdruckerei in Berlin arbeitete und bis zum Abitur zum Geldverdienen das Schriftsetzen lernte. Gerne höre ich seine Anekdoten aus der Zeit beim ›Tagesspiegel‹ und der ›Berthold AG‹ und genieße die Offenheit privater Worte. Wir gehen weiter und in den nächsten Schränken finden wir verschiedene Schriften, mit denen Erik viel verbindet. Es sind Schriften, von denen er sehr viele entworfen hat, andere überarbeitete er oder digitalisierte sie. Wieder andere Schriften hat Erik u. a. in Holz und Aluminium herstellen lassen.
Buchstaben aller Materie
Wir tauschen uns über die Eigenschaften von Holz als bewährtes Druckmaterial aus. Nachteil, es ist sehr teuer und verletzbar. Erik zeigt mir nun einzelne Buchstaben aus verschiedenen Materialen, mit denen überprüft wurde, ob Schriften nicht auch kostengünstig und gleichzeitig mit guter Druckqualität produziert werden können. Mit dabei sind Buchstaben aus Resopal, Plakadur, Kunststoff, Plexiglas, Kunstguss, Kunststein, MDF und Aluminium. Ich erfahre von Erik viel über die Vor- und Nachteile in der Produktion sowie auch im jeweiligen Druckverhalten.
›Post Digital Printing – Hacking Gutenberg‹
Neben dem Experimentieren mit verschiedenen Materialien für die Buchstabenherstellung werden auch Bücher im traditionellen Buchdruck hergestellt, jedoch mit digitalem Layout des Textes, und zwar mit einem sehr feinen mikrotypografischen Satz am Rechner. Die so aufbereiteten Textseiten werden digital an einen Belichter gesendet, der mit Hilfe von Laserstrahlen Polymerplatten belichtet, die wie Klischees behandelt und in diesem Fall auf Magnetfundamenten in den Druckmaschinen traditionell gedruckt werden. Mir gefällt die Möglichkeit, dass das alte Handwerk auf diese Weise weiterhin genutzt wird und mehr Verbreitung findet.
Mehr auf den Seite der Galerie P98a Suhrkamp Letterpress Reihe und Post Digital Printing – Hacking Gutenberg sowie auf der von der TOC Publishing GmbH www.toc.berlin.
analog vor Ort
Morgen wird der zu der Werkstatt gehörige Laden ›analog‹ wiedereröffnet und wir gehen gemeinsam hinüber. Es ist ein Ort für Typografie-Liebende, in dem auch Veranstaltungen wie Lesungen und Vorträge stattfinden. An der Außenfassade sind alte einzelne Buchstaben aus Firmen- oder Geschäftsauflösungen angebracht und zeigen einen ganz eigenen Charme. Hier werden Plakate und Postkarten aus der Galerie P98a sowie zahlreiche Fachbücher angeboten. Ich fühle mich sofort wohl.
Ein Satz als Satz
Zurück in der Druckwerkstatt ist noch genug Zeit, um ein Plakat zu setzen. Ich entscheide mich für die ›Block‹ Schrift in den Schnitten ›schwer‹ und ›eng‹. Einige Schriften aus der Block-Familie hatte Erik Ende der 70er Jahre für den Berthold Fotosatz neu gezeichnet. Sie wurden als Berliner Grotesk veröffentlicht. Ich wähle große Holzlettern sowie für eine kleine Zeile Bleibuchstaben und setze ›ein tag bei erik‹ als Vierzeiler. Erik schmunzelt, lässt mich machen und meint »du kennst dich aus«. Ich bin glücklich!
The type has to kiss the paper
Für das Plakat hat Erik mir ein volumiges Büttenpapier ausgesucht und auch eine zweite Farbe, den leuchtenden Pantone-Ton 804, empfohlen. Ich wähle das mittige kleine e und färbe es extra ein.
Nach ein paar Probeabzügen ist der Druck nun »eingestellt zum Küssen« meint Erik und lacht. Es beschreibt den Moment, bei dem die richtige Farbmenge bei optimalem Druck auf das Papier
kommt.
Während wir uns das Ergebnis und den Druck gemeinsam ansehen, hat uns der Fotograf und Retuscheur
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Sabine Fehmer (Freitag, 06 August 2021 08:45)
Sehr schön!
Kleine Letternpresse (Freitag, 06 August 2021 09:27)
Mein Laden in Eppendorf ist schön schön . . . aber was ich hier gesehen habe übertrifft ja wirklich alles. Sagenhaft, sagenhaft nochmal sagenhaft. Gott grüß den Knust oder so ähnlich. Freue mich schon wieder auf Dich in der L42. Monsieur Achim
Jana auf TypoWalz (Freitag, 06 August 2021 09:46)
Liebe Sabine,
es freut mich, wenn es dir gefällt.
Jana auf TypoWalz (Freitag, 06 August 2021 09:48)
Lieber Achim,
ja, deine kleine Letternpresse ist wirklich schön. Bei Erik ist einfach noch viel, viel mehr Platz. Ich freue mich ebenfalls auf ein Wiedersehen in deiner L42. Hab Dank und genau
☞ Gott grüß die Kunst
Susanne Kauth (Samstag, 07 August 2021 09:13)
Ein wirklich schöner Text!
Jana auf TypoWalz (Samstag, 07 August 2021 09:30)
Liebe Susanne,
hab vielen Dank und
☞ Gott grüß die Kunst
Gert Laufenberg (Samstag, 07 August 2021 09:45)
Liebe Jana,
ein schöner Bericht, der deutlich zeigt, wie wichtig es ist, dieses schöne alte Schriftsetzer-Handwerk unbedingt für die Nachwelt zu erhalten.
Noch gibt es Museen wie das Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek, in dem ehrenamtlich für einen Erhalt der alten Drucktechniken gearbeitet wird.
Hier fehlt es aber zusehends an ehemaligen Fachleuten für den Erhalt und Vorführung.
Da sieht man doch gern Deine
Initiative für unser altes Handwerk.
Mach bitte weiter so.
Viele Grüße aus dem Museum der Arbeit von Gert.
Burkhardt Vollmann (Sonntag, 08 August 2021 11:38)
Hallo Jana,
einen Tag beim "Typopabst" Erik Spiekermann ist schon cool.
Ich habe 2014 im Hamilton Wood Type and Printing Museum Two Rivers Wi ,das erste Mal von Erik Spiekermann erfahren.Er läßt dort seine Holzlettern fertigen und ist gern gesehener Gastredner auf dem "WAYZGOOSE " Festival.Leider bin ich Erik noch nicht persönlich begegnet, weder in Two Rivers, noch in seiner Galerie .
Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf.
In diesem Sinne viele Grüße Burkhardt
P.S. : Ich hätte Interesse an einem Plakat, wäre das möglich ?
Jana auf TypoWalz (Dienstag, 17 August 2021 21:06)
Lieber Gert,
wir haben inzwischen persönlich gesprochen, daher antworte ich erst heute auf diesem Wege und danke dir für dein Lob. Ich mache sehr gerne weiter so und hoffe, dass ich mein gelerntes Wissen an die nächste Generation weitergeben kann.
Alles Gute für dich und ☞ Gott grüß die Kunst
Jana auf TypoWalz (Dienstag, 17 August 2021 21:10)
Lieber Burkhardt,
auch wir haben uns schon getroffen und ausgetauscht über meinen Tag beim »Typopapst« Erik Spiekermann. Und eine Makulatur von dem Plakat lege ich für dich zurück. In diesem Sinne ☞ Gott grüß die Kunst